Für die Größe der Gestalt
des hl. Zygmunt ist schon die Breite des Gemäldes kennzeichnend.
Um die Wichtigkeit und Heiligkeit der dargestellten Person
zu unterstreichen, wird sie im Format eines Quadrats eingesetzt,
denn in der Malerei bedeutet dies eine positive Dimension. Sie
deutet eine gewisse Vollkommenheit an und symbolisiert Gerechtigkeit.
Die Seite entspricht der Seite, Ecke der Ecke (hl. Augustinus
- de granditudine animae), wobei das Rechteck fehlende Vollkommenheit
bedeutet. Wenn man das zweite Quadrat im Bilde von oben her
gezeichnet hätte, würde man die Teilung in die himmlische
und irdische Sphäre bekommen. Eine Bildstruktur in dieser
Bedeutung ist als Ausdruck der Ehre zu verstehen. Die Linien
auf dem Bild laufen ähnlich wie bei einer Ikone in Richtung
des Betrachters, gleichsam in einer Szenerie, an der der Zuschauer
teilnimmt. Das Licht des Bildes ist auffallend eigenartig,
es kommt sozusagen von innen, und symbolisiert die unsichtbare
Gnade Gottes. Gleichzeitig aber soll es dem Betrachter helfen,
in
das Mysterium dieser Darstellung einzudringen' Der obere Teil
des Gemäldes vermittelt das Gefühl der Leichtigkeit, Freiheit,
Ungezwungenheit. Er symbolisiert den Himmel, generell kennzeichnet
er die Sphäre des Sacrum. Der untere Teil des Bildes vermittelt
Dichte, Schwere. Er bildet den Gegensatz zum oberen Teil und
stellt die irdische Ungerechtigkeit dar, die Sphäre des Profanum.
In der Komposition des Bildes ist symbolhaft die pilgernde
Kirche zu erkennen,
im Gegensatz zu der oben gezeigten triumphierenden Kirche. Bei der Analyse der
anderen Linien soll man die linke und rechte Seite des Gemäldes beachten.
Die rechte Seite symbolisiert Er1ösung, Geistlichkeit, Barmherzigkeit,
Gnade. Auf der linken Seite aus der Sicht des Betrachters befindet sich die triumphierende
Kirche. Alle Erlösten sind weitgehend auf der linken Seite
des Bildes,
was sich
so aus der Logik der Komposition ergibt. Der
linke obere Teil des Bildes - der
bedeutsamste
Teil - stellt den Guten Hirten dar, nicht den ,,Pantokrator“, den Christkönig,
wie wir
es von Darstellungen des Jüngsten Gerichtes kennen, wo Linke und Rechte nach
den Worten
des
Evangeliums (Mt. 25, 34) wörtlich verstanden werden. Vom Guten Hirten aus, dem
idealen Vorbild des Priesters, dem Symbol erlösender Liebe und der Lebenshingabe
für
die Anderen, parallel zur rechtwinkligen Linie folgt absteigend zu der Sphäre
des
Profanurn die Gestalt des hl. Zygmunt Gorazdowski.
Die parallelen Linien zeigen auf Gleichnis, Nachfolge, Vorbild, Ausrichtung auf
den, der hinter dem Priester steht und ihm die Mission erteilt. Der Heilige zeigt
nicht direkt auf den Guten Hirten, vielmehr reicht die Hand
in den rechten oberen Winkel des Bildes hinein, der, wie schon gesagt, die Erlösung,
Gott und die Tugenden symbolisiert. Die ganze Dramaturgie des Gemäldes spielt
sich zwischen dem rechten oberen und dem linken unteren Winkel des Bildes ab.
Der linke untere Winkel stellt die niederen
Werte dar, er nimmt sozusagen die schlimmste Position, die unterste Sphäre ein.
Die
Schritte des Heiligen nehmen diese Richtung. Er scheut sich nicht, in diese Hölle
der Erde hinab zusteigen. Die Frau, die im linken Eck platziert ist, symbolisiert
in diesem
Kontext die Frau am Rande der Gesellschaft, desto mehr verachtet, weil sie Mutter
eines unehelichen Kindes ist. Dass sie auf einem Stein sitzt, hat auch eine eigene
Aussage. Der Stein, dort im Bild deutlich erkennbar, bedeutet die Härte des Lebens,
die Verletzung
durch Gewalt und Verleumdung. Dass die Frau in Richtung der ausgestreckten Hand
des Heiligen aufschaut, bedeutet Verlangen nach barmherziger Liebe, zu der sich
die
rechte Hand des hl. Zygmunt erhebt. Die Geste des Heiligen, der in der Hand ein
Brot
hält, vermag zu sagen : "nicht vom Brot allein lebt der Mensch..." oder:
"selig
die Armen im
Geiste, denn ihnen gehört das Himmelreich…" So könnte man die Platzierung der
einzelnen Gestalten auf der Ebene des Bildes
deuten.
Darüber hinaus könnte man in dieser Symbolik noch einen anderen vieldeutigen
Sinn vorfinden, einen geschichtlichen, moralischen und transzendenten Sinn.
Z. B. bezüglich der beschriebenen Frauengestalten: Der historische Sinn findet
sein Äquivalent in dem gemeinnützigen Werk des hl. Zygmund, und zwar im "Das
Jesus Kind Heim" (das einzige in Galizien damals), das für einsame
Mütter und verlassene Kinder gegründet wurde. Die Gestalt des Guten Hirten
findet ihren wörtlichen Sinn in schriftstellerischer Arbeit, in der ,,Bonus
Pastor" Zeitung wie auch in
dem vom hl. Zygmunt für die Priester gegründeten "Bonus Pastor Verein".
Der transzendente Sinn findet sich in einer der im Bild angewandten Perspektive,
wie auch in der Symbolik der Farben. Die Darstellung des Heiligen entspricht
der mittelalterlichen wie auch der ikonographischen Perspektive, der so genannten
"umgedrehten Perspektive". Die Linien zielen symbolisch auf
einen Treffpunkt, nämlich den im Herzen des Zuschauers, des Betrachters des
Gemäldes' Das Bild soll das Herz erreichen, soll aber nicht die Wirklichkeit
vortäuschen. Wenn wir die Farbe der Soutane des Pfarrers Gorazdowski (schwarz-blau)
analysieren, finden wir eine vielfältige symbolische Bedeutung. Die Soutane
ist, wie man sehen kann, abgetragen, alt, wie nach seinem Tod die Zeitungen
schrieben - "trug er eine alte Soutane... Die blaue Farbe verkörpert das Überirdische,
zeigt auch menschliche Unsterblichkeit. Diese ist die transzendente Farbe,
und das in Bezug zur ganzen irdischen Wirklichkeit.
Auf den beiden Seiten des Gemäldes befinden sich dramatische Mauern, die in
historisch-wörtlichem Sinne das Bauwirken des hl. Zygmunt bedeuten, allegorisch
aber werden sie zur
himmlischen Pforte "Porta Coeli". Dieser Titel wird
der Muttergottes zugeschrieben. Das Bild wird wie ein lebendes Wesen behandelt,
ist auch einem Text gleich. Seine Urbedeutung entspricht dem Charisma, durch
das sich der hl. Zygmunt auszeichnete. Dieses wird mit Hilfe des Mediums der
Malerei dargestellt. Auch die Linien im Gemälde tragen zum Aufbau der symbolischen
Bedeutung bei. Der Charakter der Symbole selbst ist vieldeutig, deswegen ist
das Verstehen der Symbolik nur im Kontext der anderen Zeichen möglich. Die
Welt der Symbole ist mit der christlichen Bedeutung verbunden. Deswegen das
Brot - Symbol der Eucharistie und der Frucht der menschlichen Händearbeit.
Es weist auf die Worte: "Denn ein Brot ist es, so sind wir viele ein Leib,
weil wir alle an einem Brot teilhaben" (1 Kor.
10,17), wie auch auf den Aufruf der Kongregation der Schwestern vom hl. Josef,
dessen Gründer der hl. Zygmunt Gorazdowski ist: "Das Herz bei Gott, die Hände
bei der Arbeit". Ähnlich ist auch das Symbol des Stockes vielfältig in seiner
Bedeutung, man soll ihn im Zusammenhang mit der Bedeutung anderer Symbole sehen
und verstehen. Die Deutung soll auf eine positive, nicht negative Weise erfolgen,
nicht als Strafe, sondern als Zeichen der Gnade, und das deswegen, weil die
Person, die den Stock hält, sich auf der rechten Seite des Bildes befindet,
obwohl sie in der irdischen Sphäre der Ungerechtigkeit steht, doch etwas höher,
in der ,,Pforte des Himmels“, die für die „seligen Armen“ geöffnet ist.
Die
Gnade bedeutet in diesem Falle Kraft, die stärkt und schützt im irdischen Pilgern.
Das Haupt der Figur befindet sich im Himmel, dem Heiligen zugewandt, und bedeutet
Zuversicht, Vertrauen auf Gott. Man kann sehen, wie im rechten Eck des Bildes
der Gute Hirt in der rechten Hand den Stock hält, was aber schon eine andere
Bedeutung hat.
Die Darstellung der Person des hl. Zygmunt Gorazdowski ausschließlich unter
den Armen bezieht sich auf die Bezeichnung "Pfarrer der Bettler".
Das Fehlen jeglicher Attribute (außer Brot und Stock) bezeugt, dass durch das
geistliche
Licht, das aus seinem Gesichte strahlt, die Armut und der Dienst an den Ärmsten
für
Pfarrer Zygmunt alles waren - sein ganzer Reichtum.